«Kann am Preis noch ein wenig geschraubt werden?»
Wer liebt diesen Satz nicht. Schließlich können wir es kaum erwarten, unsere aufwendige Handarbeit zu Billigpreisen zu verschleudern um endlich den Traum vom Leben mit Büchsenravioli und unbezahlten Rechnungen zu verwirklichen.
Jetzt ernsthaft: Ich kann es nicht ausstehen, wenn mich ein Kaufinteressent mit solchen Fragen kontaktiert. Glücklicherweise geschieht das auf Etsy (ich verkaufe nur da) selten und interessanterweise kaufen die meisten trotz meines klipp und klaren Neins anschließend trotzdem. Wie ich solche Anfragen beantworte, erzähle ich dir gleich.
Zuerst möchte ich aber etwas ausholen in das faszinierende Gebiet der Preis-Psychologie. Ich kann mich kaum sattlesen an dem Thema und will dir heute die wichtigsten Wissens- und Erfahrungsperlen daraus erläutern.
Hier kommen also meine fünf Gründe, weshalb du auf keinen Fall deine Preise senken und sie stattdessen lieber anheben solltest.
1. Wenn du Wertschätzung willst, musst du sie auch einfordern
Ich staune manchmal an den tiefen Preisen, die Verkäuferinnen von Handgemachtem für ihre Produkte verlangen. Das fällt mir besonders in Facebook-Verkaufsgruppen auf. Wenn eine Verkäuferin zu tiefe Preise verlangt, dann «riecht» das in meiner Nase nach mangelnder Wertschätzung der eigenen Produkte und das ist einfach nicht attraktiv. Damit signalisiert mir die Verkäuferin nämlich, dass sie nicht viel von ihrer eigenen Handarbeit hält. Wieso sollte ich als potenzielle Kundin dies also tun? Übrigens ist die weibliche Form hier nicht zufällig gewählt. Es sind häufiger Frauen, die ihre Produkte unter ihrem Wert verkaufen.
2. Selbstbewusstsein und klare Preis-Standpunkte sind attraktiv
Das Thema Wertschätzung ist eng verwandt mit dem Thema Selbstbewusstsein.
Ich kaufe lieber bei jemandem, der mir zu verstehen gibt: Meine Handarbeit ist genau so viel Wert. Nimm oder lass es (natürlich nicht wörtlich, nur sinngemäß). Wenn mir diese Person also durch die Blume zu verstehen gibt, dass sie ihr Produkt so toll findet, dass sie es lieber behalten möchte, als es zu billig zu verkaufen, will ich es erst recht! Falls du viel mit Kindern zu tun hast, kommt dir das bestimmt bekannt vor. Wenn es ums Kaufen geht sind Erwachsene wie kleine Kinder. Sie wollen das, was begehrt und attraktiv ist und am allermeisten das, was sie nicht (oder fast nicht) haben können.
3. Höhere Preise = bessere Qualität und Exklusivität
Ein zu tiefer Preis löst weitere Fragzeichen aus:
Wie kann sie sich so tiefe Preise leisten? Stellt sie mit billigem "Made in Taiwan" Material her? Ist es wirklich handgemacht?
Wenn ich in einer Facebook-Verkaufsgruppe oder auf Etsy auf der Suche nach einem einzigartigen Produkt bin, dann will ich Kleinunternehmerinnen und/oder einen lokalen Hersteller unterstützen. Ich will von der guten Qualität von (Schweizer) Handarbeit profitieren und lange Freude daran haben! Ich will kein Billigprodukt, das ich auf Amazon kaufen könnte.
Genau dieses Gefühl hatte ich neulich wieder, als ich auf der Suche nach einem Geschenk für eine besondere Person war (ich kann leider nicht zu viel verraten, weil sie es lesen könnte). Es war etwas Handgemachtes. Ich hab sehr, sehr viele Produkte verglichen und weil es sich um ein trendiges Produkt handelte, sahen die meisten einander sehr ähnlich. Worin sich die Produkte jedoch unterschieden, war der Preis. Einige waren um die 20.00 Franken billig, andere über 100.00 teuer. Ich fand beide Extreme wenig attraktiv. Zu billig passte mir nicht, weil ich nichts Billiges verschenken möchte und an der Qualität zweifelte. Überteuert fand ich auch unsympathisch, weil: wieso so teuer, wenn es auch etwas günstiger geht? Ich hab mich für ein Produkt in der gemäßigt höheren Preisklasse – rund 80.00 Franken – entschieden, weil ich diesen Preis sowohl angemessen wie auch erschwinglich fand.
4. Schnäppchenjäger sind in der Regel die mühsameren Kunden
Oh ja. Diese Erfahrung teilen auch meine Etsy-KollegInnen. An Schnäppchenjäger wollen wir lieber nicht verkaufen, also wollen wir sie mit tiefen Preisen gar nicht erst anziehen. Schnäppchenjäger sind selten angenehm und wertschätzend. Häufig liefern sie, nachdem sie mehrfach nach tieferen Preisen gefragt haben, weitere Komplikationen hinterher. Nicht selten beschweren Sie sich über dieses oder jenes Detail, nachdem sie ihre Bestellung erhalten haben (sofern sie gekauft haben). Das ist natürlich nicht bei allen Kunden so. Ich hab auch schon die Erfahrung gemacht, dass mich ein Kunde um einen Rabatt gebeten hat, ich diesen freundlich abgelehnt habe, und er mir nach dem Kauf eine begeisterte Bewertung hinterlassen hat. Das ist aber eher die Ausnahme.
Manche Etsy-VerkäuferInnen gehen deswegen so weit, dass sie ihr Produkt für kurze Zeit deaktivieren, wenn eine Anfrage nach Ärger klingt. Oder Verkäufe wieder stornieren (das ist jedoch etwas problematisch und könnte zu einer Kunden-Beschwerde führen).
Meine Standardantwort bei Rabatt-Anfragen lautet deswegen:
«Herzlichen Dank für Ihr Interesse! Das freut mich wirklich sehr. Meine Preise sind jedoch nicht verhandelbar. Ich bin eine Kleinunternehmerin und kann es mir nicht leisten, meine Produkte unter ihrem Wert zu verkaufen.»
Fällt dir etwas auf? Mit keinem Wort drücke ich Bedauern aus. Ich entschuldige mich nicht für meine Preise, ich stehe zu ihnen, weil ich zu meinen Produkten stehe.
5. Billigpreise entziehen deinem Business essenzielle Ressourcen
Das ist der unterschätzteste, aber eigentlich wichtigste Punkt: Wenn du deine Produkte unter ihrem Wert verkaufst, entziehst du deinem Business wichtige Ressourcen und schadest ihm langfristig. Wieso? Du musst nicht nur deine Kosten decken, sondern auch Rücklagen aufbauen, damit du in die Qualität deiner Produkte, das Wachstum deines Geschäfts und deine finanzielle Sicherheit investieren kannst.
Deine Arbeitszeit, Material und Geräte, Arbeits- und Verkaufsflächen, Gebühren für Online-Shops und Marktstände, eine zeitgemäße Webseite, Produkt- und Businessentwicklung (= Wissen und Know-how) … all das kostet und sollte in deine Preise eingebaut werden!
Spätestens im zweiten Geschäftsjahr solltest du nicht mehr nur in die Produktherstellung und den Verkauf, sondern auch in die Weiterentwicklung deiner Produkte und deines Business investieren. Jedes grössere Business tut das auch. Und deren Kunden nehmen Preise, die das schlucken, einfach hin. Du darfst und sollst das auch einfordern!
Mach es nicht wie Blockbuster
Wenn du die Weiterentwicklung deines Business vernachlässigst, riskierst du damit sein Überleben. Es sind Giganten deswegen zugrunde gegangen. Sagt dir Blockbuster etwas? Die erfolgreichste amerikanische Video- und später DVD-Verleih-Kette, die auch in halb Europa Ableger und weltweit über 9000 Läden hatte? Im Vergleich: Das waren halb so viele Läden, wie es heute auf der Welt Burger King Filialen gibt!
Was ist mit Blockbuster passiert? Sie sind buchstäblich von der Bildfläche verschwunden. Weil sie eine wichtige Entwicklung verpasst haben: Die Veränderung des Film-Schau-Verhaltens ihrer Kundschaft. Als sie es endlich gerafft hatten, wars zu spät. Netflix war aufmerksamer. Als unbedeutender Blockbuster-Konkurrent mit altbekanntem DVD-Verleih begonnen, wechselte Netflix dank Konsumenten-Beobachtung und entsprechender Investitionen auf Video-on-Demand (zunächst per Post) und später in die Streamingdienste.
Wie du es stattdessen tun solltest
Lass dir von nervigen «Gehts auch billiger?» Anfragen nicht den Tag und schon gar nicht dein Geschäft vermiesen. Investiere deine Energie lieber in deine Positionierung als Ernst zu nehmendes Business, anstatt jeden Verkauf abschließen zu wollen. Wenn du deine Preise bei jeder Anfrage senkst, positionierst du dich in den Augen deiner Kundschaft entsprechend weit unten und dann wird es schwierig, deine Preise später wieder auf ein angemessenes Niveau zu heben. Doch genau dieses brauchst du, um langfristig bestehen zu können.
So, ich muss mal zu einem Ende finden 😉 Ich hoffe jedenfalls , dass ich dich mit diesem Artikel zum Nachdenken (und Preisanheben) inspirieren konnte!
Die «Psychologie stolzer Preise» und das Entwickeln einer gewinnbringenden Preisstrategie sind wichtige Themen, die ich (unter anderem) in meinem Etsy-Kurs 2023 vertiefen werde.
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